Probleme bei der Handaufzucht von Papageien: Fehlstellungen der Extremitäten - Spreizbeine, Rachitis

Exotengesundheitsteam, Waldbreitbach

Allgemein:

Unter der im allgemeinen Sprachgebrauch als Spreizbeine oder Spreizfüße bekannten Problematik in der Vogelzucht versteht man eine ausgrätschende Fehlstellung der Beine. Hierbei werden die Beine seitlich vom Körper weggestreckt und eine normale Sitzposition und Körperhaltung erscheint unmöglich (siehe Bild). Es kommt zur ständigen Bauchlage des Kükens.

Andere zu beobachtende Fehlstellungen sind verdrehte Gelenke und Knochenverformungen. Dabei ist zu beobachten, dass das Bein meist unterhalb des betroffenen Gelenkes von der Normalstellung abweicht. Weichen die Knochen von ihrer physiologischen Form ab sind O-Beine oder andere abweichende Fußstellung häufig zu erkennen. Allen Fehlstellungen gemein ist die Verschiebung der Achsen. Ist nur eine Extremität betroffen, erkennt man dies besonders gut.

Das allgemeine Befinden und der damit einhergehende Betteltrieb nach Futter sind dabei nur in den wenigsten Fällen eingeschränkt. Deformationen der Extremitäten treten meist in der Zeit zwischen Schlupf und der Vervollständigung des Gefieders auf, mit einem von den Autoren beobachteten Peak in den ersten 2-3 Lebenswochen. 

Bei diesem Jungvogel von Rotkappensittich (Purpureicephalus spurius) kam es zur Entwicklung eines Spreizbeines. Zur Haltung des Gleichgewichts wird zusätzlich der Flügel benutzt.

Dort liegt auch die Hauptwachstumsphase vieler Papageienspezies. Die Entstehung von Fehlstellungen kann man durch vorbeugende Maßnahmen weitgehend verhindern. Sind sie jedoch bereits aufgetreten, ist sofortiges Handeln gefragt, um dem Küken ein unbeeinträchtigtes Weiterleben zu ermöglichen.

Problematik:

Der Bänder- und Sehnenapparat eines Nestlings hat noch nicht die Stabilität eines adulten Vogels. Ebenso haben die Knochen der im Wachstum befindlichen Vögel bei weitem noch nicht den Kalzifizierungsgrad (d.h. die durch Kalziumeinlagerung erreichte Härte) und die Belastbarkeit, wie dies bei erwachsenen Tieren der Fall ist. Aufgrund der hohen Wachstumsrate haben sie noch einen sehr hohen Knorpelanteil in ihren Knochen. Daher ist die Anfälligkeit für Fehlstellungen und damit zum Teil einhergehende Knochendeformationen in diesem Alter besonders hoch. Die Gründe, die zu einer solchen Symptomatik führen, können unterschiedliche Ursachen haben:

Frontalansicht des Kükens. Eine normale Sitzposition ist nicht mehr möglich.

Ungeeignete Nestunterlage in der Handaufzucht

Die häufigste Ursache für die Entwicklung von Spreizbeinen ist eine zu glatte Nestunterlage   (z.B. Zeitungspapier oder glatter Kunststoffboden). Beim Versuch sich aufzurichten grätschen die Beine des Kükens wiederholt seitlich aus. Je länger und öfter dies geschieht, desto schneller und extremer werden die Bänder und Gelenke, die für die Haltung der Beine in Normalposition zuständig sind, überansprucht. Es kommt zur Überdehnung oder gar Verletzungen des Bandapparates, in schwerwiegenden Fällen auch zur Exartikulation (d.h. Auskugelung/Ausrenkung) der Gelenke.

Wird nun nicht reagiert, kann es aufgrund des schnellen Wachstums zur Manifestation der fehlgestellten Gliedmaßen kommen. Um dieser Problematik vorzubeugen können in der Handaufzucht selbstgefertigte, kleine Nester aus Küchenpapier hergestellt werden. Diese verhindern ein seitliches Ausgrätschen der Nestlinge. Sie sorgen in den ersten Lebenswochen für den notwendigen Halt der Papageienbeine, sind günstig herzustellen und bei Bedarf jederzeit austauschbar. Sie sind eine sehr hygienische und gleichzeitig, prophylaktische, den Spreizbeinen vorbeugende Unterbringungsmöglichkeit der Papageienküken.

Extremitätenfehlstellungen bei Naturbruten

Bei Naturbruten kommt es ebenfalls gelegentlich zu Fehlstellungen wie Spreizbeinen oder rachitisch verformten Beinknochen. Manchmal wird dies einer „zu fest sitzenden“ Mutter zugeschrieben. Dies ist jedoch Spekulation und kann kaum nachgewiesen werden. Häufiger stellt sich hier eine mangelhafte Kalzium- und Vitamin D3-Versorgung der Elterntiere und somit der Küken, mit Bildung rachitischer Röhrenknochen heraus.

Ein zu glatter Untergrund kann bei Naturbruten ebenfalls die Ursache sein, ist aber aufgrund des Huderverhaltens und des häufig relativ griffigeren Nestsubstrates wesentlich seltener.

Junger Rosakakadu (Eolophus roseicapillus) mit Bandagierung der Beine in physiologischer Haltung.

Tipp:

Bei Paaren die stets die gesamte Nestunterlage (Hobelspäne, Kleintiereinstreu etc.) entfernen sollte auf eine ausreichend tiefe Nistmulde im angebotenen Nistkasten geachtet werden.

Problem Kalziummangel/Vitamin D3-Mangel

Bei Jungtieren mit Kalzium- und/oder Vitamin-D3 Mangel kann man Fehlstellungen häufiger feststellen, als beim optimal versorgten Jungvogel. Hierzu sei nun kurz erklärt, dass neben einer ausreichenden Kalziumsubstitution auch die Versorgung mit Vitamin D, insbesondere Vitamin D3, eine große Rolle spielt. Dieses ist für die Resorption (Aufnahme) und den Einbau des Kalziums in die Knochensubstanz (Mineralisation) zuständig. Die beiden wichtigsten D-Vitamine sind das pflanzliche Vitamin D2 (Ergocalciferol) und das tierische Vitamin D3 (Cholecalciferol) die aus ihren Provitaminen unter Einwirkung von UV-Strahlung im Organismus synthetisiert (d.h. gebildet) werden.

Fehlt UV-Licht, muss es über das Futter zugeführt werden (Kommerzielle pelletierte Futtermittel, Handaufzuchtsfutter und Mineralstoff-Vitaminpräparate (z.B. Korvimin) enthalten in der Regel ausreichende Mengen D3 und Kalzium). Wenn nun Kalzium als Baustein des Knochens und/oder Vitamin D3 als „Verarbeiter“ des Kalziums in nicht ausreichenden Mengen vorhanden ist oder gar fehlt, kommt es zu Problemen in der Knochenbildung. Im Zuge der Gewichtszunahme und mangelnder Verkalkung können die Knochen dem Gewicht nicht mehr standhalten und es kommt zur Verformung. Ebenso halten die Knochen der zunehmenden Stärke der Muskelkraft nicht Stand. In diesem Falle spricht man von einer Rachitis.

Dieses Krankheitsbild entsteht durch eine gestörte Mineralisation der Knochengrundsubstanz der sogenannten Matrix des wachsenden Skeletts durch ein unzureichendes Kalzium- bzw. Phosphatangebot. Es handelt sich hier um eine andere Ursache von Fehlstellungen wie die der Spreizbeine, sie ist jedoch aus oben genannten Gründen oft parallel zu beobachten.

Genetische Ursache

Werden bei den Jungtieren eines Paares häufig diese Fehlstellungen beobachtet sollte auch an eine genetische Ursache gedacht werden. Wenn alle anderen Ursachen ausgeschlossen und beseitigt wurden und die Jungtiere weiterhin Fehlstellungen haben sollte überlegt werden die Elterntiere aus der Zucht zu nehmen um einer möglichen genetischen Fixierung und Weitergabe dieses Problems vorzubeugen.

 

Beim Auftreten von Fehlstellungen ist sofortiges Handeln erforderlich. Als Faustregel gilt: Je schneller man handelt, desto schneller könnte das Problem wieder behoben sein. Wird das Problem nicht angegangen, kommt es im Zuge des Wachstums zur Verknöcherung des fehlgestellten Knochens, was parallel auch eine Fehlstellung des zugehörigen Sehnen- und Muskelapparates zur Folge hat.

In schlimmen Fällen können aufgrund der ständigen Falschbelastung Gelenke versteifen. Durch die Beanspruchung von nicht dafür vorgesehenen Hautarealen können dort Druckstellen, Drucknekrosen bis hin zu Druckgeschwüren (Decubiti) entstehen. In solchen fortgeschrittenen Fällen kann dem Jungvogel nur noch mittels aufwendiger chirurgischer Maßnahmen geholfen werden oder bei infauster Prognose ist aus Tierschutzgründen eine Euthanasie zu raten.

Vorkehrungen:

Die beste Prophylaxe besteht zum einen aus einer optimalen Unterbringung der in der Handaufzucht befindlichen Küken. Dazu gehören ein nicht überdimensionierter Aufzuchtbehälter sowie eine rutschfeste Unterlage. Bewährt haben sich hier Frotteehandtücher, „zerknautschter“ Zellstoff oder z.B. Maishächsel.

Das schrittweise Anlegen einer Bandage aus selbsthaftenden Binden:

A) Bandage zurechtschneiden,

B) Bandage unter Unterschenkel führen,

C) Umklappen und zusammendrücken (selbsthaftend),

D und E) Positionskontrolle der Bandage auf Symmetrie und normale Beinstellung.

Zum anderen ist eine ausreichende Versorgung der Küken mit allen notwendigen Mineralien und Vitaminen äußerst wichtig. Während diese in den handelsüblichen Handaufzuchtsfuttermitteln in ausreichender Menge vorhanden sind, muss bei Naturbruten auf eine ausgewogene Ernährung der Elterntiere geachtet werden. Vitamin D3 muss ausreichend im Futter enthalten sein.

Besser ist es den Tieren die Möglichkeit zu geben Vitamin D aus seinen Provitaminen selbst zu synthetisieren. Die dazu benötigte UV-Strahlung fehlt in Innenanlagen und sollte durch eine UV- Strahlung emittierende Beleuchtung gegeben sein. Sind diese Vorraussetzungen vorhanden, kann man das Auftreten von Fehlstellungen weitgehend verhindern.

Fallbeispiel:

Einer der Autoren übernahm die Handaufzucht von Rosakakadus (Eolophus roseicapillus). Bei Übergabe der wenige Tage alten Jungtiere fiel auf dass eines der Nestlinge die Beine seitlich abspreizte. Er wurde in einem üblichen Metall-Futterschälchen zusammen mit seinen zwei künstlich erbrüteten Nestgeschwi-stern auf einer Zellstoffunterlage untergebracht.

Die anderen Nestlinge entwickelten keine abnorme Beinstellung. Sonst zeigte das Küken in allen Bereichen ein normales Verhalten. Nach allgemeiner Untersuchung war schnell klar, dass es sich um keine Brüche oder Exartikulationen der Beine handelt, sondern um Spreizbeine. Die sofortigen Maßnahmen bestanden aus dem Einbinden der Füße in physiologischer (d.h. normaler) Körperhaltung.

Aufgrund der geringen Größe des Tieres wurde hierzu ein Haushaltsgummi herangezogen (siehe Bild weiter oben). Mit diesem wurden zwei Schlaufen gebildet, in die jeweils ein Fuß untergebracht wurde. Dabei müssen die Schlaufen groß genug sein, um nicht von selbst wieder vom Fuß zu rutschen aber auch nicht zu eng, um die Blutzufuhr zu beeinträchtigen. Der entstandene Knoten wurde mit Hilfe eines Tropfens Sekundenkleber fixiert, um ein Verrutschen und damit ein eventuelles Abbinden eines Fußes zu verhindern.

Das Küken wurde anschließend nicht mehr im Behälter der Nestgeschwister, sondern in einer separaten engeren Schale untergebracht. Diese sollte so bemessen sein, dass das Küken gerade Platz hat darin zu sitzen. Ein Ausgrätschen der Beine wird auf diese Weise zusätzlich verhindert. Bei den anderen Küken wurde die neue Zellstoffunterlage vor der Auswechslung „zerknautscht“, damit die vielen dadurch entstandenen Falten den Füßen einen besseren Halt bieten und die Bildung von Spreizbeinen weitgehend verhindern.

Nach 3 Tagen wurde das Gummiband des behandelten Kükens entfernt und die Sitzposition beobachtet. Die Beine konnten dauerhaft in normaler Position gehalten werden. Sicherheitshalber wurde es für zwei weitere Tage in einem der Größe des Kükens angepassten Schälchen untergebracht. Dabei war die Unterbringung erneut so bemessen, dass ein seitliches ausgrätschen der Beine nicht möglich war.

Nach weiteren zwei Tagen konnte der junge Rosakakadu schließlich wieder zu seinen Geschwistern gesetzt werden. Die Spreizbeine traten nicht mehr auf. Es sei darauf hingewiesen, dass Fehlstellungen der Extremitäten immer auch durch einen auf Vögel spezialisierten Tierarzt begutachtet werden sollten, da eine Korrektur je nach Ursache (Brüche, rachitische Deformationen etc.) nicht immer durch Ausbinden zu beheben ist.

Tipp:

Das Ausbinden von Spreizbeinen kann auf vielerlei Weise geschehen. So kann man z.B. selbsthaftende Binden, Gummiband oder eine Schnur zwischen beidseits angebrachten Ringen verwenden. Es müssen jedoch 3 Voraussetzungen geschaffen werden:

1) Das Material darf den Fuß nicht einschnüren;

2) Die Füße müssen in Normalposition eingebunden werden;

3) Die Bandage muss der Größe des Jungvogels entsprechen und sollte ggf. aufgrund des Wachstums stets angepasst werden.

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